Werner Bittner – Soest und Schlesien immer im Herzen

Die alte Heimat vergisst man nicht, nie, niemals. Sein Herz schlage für Schlesien, sagt Werner Bittner. Das sei schon immer so gewesen, und das werde auch so bleiben, immer und ewig. Doch er weiß auch: „Wo es dir gut geht, da ist dein Zuhause.“ Sein Leben gehöre Soest, betont er deshalb, Soest wolle er nicht missen, nie niemals. Soeben hat der rüstige Ruheständler das 90. Lebensjahr vollendet, und er dürfte der älteste Zeitzeuge sein, der noch aus eigener Anschauung darüber berichten kann, wie es den Ostvertriebenen einst im O-Lager am Meiningser Weg erging.

Im neuen Museum für Zeitgeschichte, das derzeit in Block 3 der ehemaligen Adamkaserne entsteht und voraussichtlich im nächsten Frühjahr öffnen wird, kommt Werner Bittner als einer der früheren Bewohner in einem Video zu Wort. Viele Bilder der Erinnerung blieben bis heute in seinem Gedächtnis haften. Er sieht noch genau vor sich, wie er 1946 als zwölfjähriger Junge mit seiner Mutter – einer Kriegerwitwe –, mit seiner jüngeren Schwester und den Großeltern nach einem endlos langen, beschwerlichen Transport am Soester Bahnhof ankam und wie die Fahrt ins Ungewisse dann mit dem Lastwagen weiter stadtauswärts zur notdürftigen Bleibe führte. Mit nur armseligem Gepäck ausgestattet sei ihnen im ehemaligen Offiziersgefangenlager eine karge Stube zugwiesen worden, die sich anfangs zehn Personen aus drei Familien teilen mussten. Er denkt auch an die ersten Nächte auf Stroh, an die zugeteilte Mahlzeit, die die Neu-Ankömmlinge auf dem Boden sitzend einnahmen. Als Tisch habe in der Mitte des Raumes ein mit Ziegelsteinen erhöhtes Brett gedient, das der Opa von irgendwoher organisiert habe.

In einem Beitrag für das von der Geschichtswerkstatt Französische Kapelle 2004 herausgegebenem Buch mit dem Titel „Das O-Lager 1946 bis 1951“ hielt er fest: „Wir waren froh, dass wir einen festen Ort gefunden hatten, wo wir uns endlich von den Strapazen erholen konnten.“ Wohl niemand in der Familie ahnte damals, dass der Aufenthalt im Lager über vier Jahre dauern sollte. Um die 1.600 heimatlose Menschen fanden in den Blöcken ein Dach über dem Kopf. Wer dort behelfsmäßig, beengt und in einfachsten Verhältnissen untergebracht war, fragte sich später oft: „Wie haben wir das damals nur geschafft?“. Es musste ja irgendwie gehen, aber wie, das sei mehr als siebzig Jahre später kaum noch vorstellbar.

Viele Bewohner erzählen aber auch, dass gerade diese, nie vergessene, entbehrungsreiche Zeit ihr Leben geprägt habe, weil sie lernten, mit wenig auszukommen, sich auch an Kleinigkeiten zu erfreuen, ihre Mitmenschen zu schätzen, sich mit anderen zu arrangieren und Lösungen zu finden, auch wenn es mal kompliziert wird. Was war das für eine Begeisterung, wenn der Bäcker am Jakobitor seinen Ofen aufheizte, und es den Heimatvertriebenen ermöglichte, ihren geliebten schlesischen Streuselkuchen zu backen. Samstags setzte sich am Meiningser Weg oft eine kleine Völkerwanderung Richtung Soester Innenstadt in Bewegung, die entweder Kuchenbleche im Handwagen mit sich führte oder Schüsseln mit Teig.

Werner Bittner könnte mit heiteren und nachdenklich stimmenden Episoden von früher ganze Bücher füllen. Der Junge aus dem O-Lager besuchte die Schule, ging in den Lehre und beschritt später bei der Soester Baufirma Strabag einen erfolgreichen beruflichen Weg. Im Jahr 1951 erfolgte der Umzug in die Süd-Ost-Siedlung. „Hier bekamen wir eine menschenwürdige Wohnung“, schildert er, „die Freude war groß.“ Soest wurde immer mehr zu einem guten und vertrauten Zuhause. Werner Bittner blieb und ging nicht wieder weg. In Soest heiratete er, seine beiden Töchter wurden hier geboren, in Soest möchten er und seine Ehefrau Ingeborg übernächstes Jahr auch ihre Gnadenhochzeit feiern. Sie freuen sich schon drauf. Und wir von „Schönes Soest“ werden dann wieder berichten!

Heyke Köppelmann

Publiziert am:

26.9.24